Das ideale Haus
Die ersten
schriftlichen Zeugnisse, die das Problem der idealen Hauses, der idealen
Wohnung, behandeln, stammen aus dem antiken Griechenland. Das Problem wird
unter klimatischem Blickwinkel gesehen. Das in Griechenland, in der Ägäis und
in Ionien vorherrschende Klima ist temperiert: die Sommer sind heiss und die
Winter im allgemeinen mild. Die Wintertemperaturen hängen vor allem von der
Höhenlage ab und im Gebirge können sie auch beträchtlich unter null Grad liegen.
Die hohen Sommertemperaturen sind besser an der Küste zu ertragen, weil dort
immer ein frischer, kühlender Wind weht.
Der griechische
Geschichtsschreiber Xenophon (430-355 v.u.Z.), berühmt für sein
Buch „Anabasis“, in welchem er den Rückzug des griechischen Truppenkontingents
beschreibt, das in Mesopotamien gekämpft hat, gibt in seinem Buch “Memorabilia”
(1) Überlegungen wieder, den Sokrates (470–399 v.u.Z.) zum Thema „Das ideale
Haus“ gehalten haben soll.
“Er (Sokrates) sprach auch davon, dass ein
und dasselbe Haus schön und zweckmässig zugleich sein müsse. Er pflegte
folgendermassen vorzugehen: „Wenn einer ein Haus haben will, muss er dann nicht
überlegen, wie man am angenehmsten und mit den grössten Bequemlichkeiten darin
leben kann?“
Herrschte in diesem Punkt Übereinstimmung,
so fragte er: „Ist es nicht angenehm, im Sommer ein kühles Haus zu haben, im
Winter aber ein warmes?“ War man auch damit einverstanden, fuhr er fort: „In
den nach Süden gelegenen Häusern scheint im Winter die Sonne in die Vorhalle
hinein, im Sommer lässt sie uns im Schatten, in dem sie über uns und über die
Dächer hinweggeht. Da es so sein soll, muss man die Südseite des Hauses etwa
höher bauen, damit die Sonne im Winter nicht ausbleibt, die Nordseite aber
etwas niedriger, damit die kalten Winde nicht hineinblasen. Kurz und gut, das
dürfte wohl die angenehmste und schönste Behausung sein, in der man selbst am
angenehmsten allen Jahreszeiten ausweichen und seine Habe am sichersten
unterbringen kann.“
Das ideale Haus des Sokrates nach der Beschreibung von Xenophon
(3) Gedeckte Terrasse, 4) Hauptraum, 5) Abstellraum, 6) Massivmauerwerk = Wärmespeicher, 7) Steinfussboden = Wärmespeicher)
Die Archäologen haben bis jetzt kein Haus gefunden, auf
welches die Beschreibung des Sokrates zutrifft. Das ist auch sehr verständlich,
denn das, was Sokrates mitteilen wollte, war nicht die Beschreibung eines wirklichen
Hauses, sondern die eines Prinzips, nach welchem man, seiner Meinung nach,
Häuser bauen sollte. Diese Häuser sollten funktioneller und besser belichtet
und besonnt sein, als diejenigen, welche Sokrates in Athen täglich vor Augen
hatte und in die kaum ein Lichtstrahl fiel.
In den alten Städten Griechenlands, wie Athen und Theben,
gab es keine sonnigen Wohnungen, weil alle Häuser sich ganz dicht innerhalb der
Stadtmauern drängten. Diese Häuser hatten keinen Hof und die Strassen waren so
eng, dass die Sonne nie in die Wohnungen drang. Nur die Gründung von
Kolonialstädten auf bisher unbebautem Gelände gab die Möglichkeit zum Bau
komfortablerer, gut besonnter, belichteter und belüfteter Häuser auf. Die
ersten griechischen Kolonien wurden im VIII. Jahrhundert gegründet und die
dortigen Häuser waren ganz offensichtlich nach „modernsten“, rationellen
Kriterien gebaut.
Das nach Süden orientierte Haus mit einem gedeckten Vorplatz oder einer Loggia davor war also keine spontane Idee des grossen Philosophen. Den Vorteil einer Südorientierung hatte man schon lange vor Sokrates erkannt. Selbst der Neandertaler kannte deren Vorteil und suchte sich als Wohnung Höhlen aus, die zur Sonne hin orientiert waren.
In einem anderen seiner Bücher, dem “Oikonomikos” beschreibt Xenophon (2) im
Detail das Haus des Ischomachos. Ischomachos ist der „ideale Herr“, der seine
Geschäfte bestens zu führen weiss, und der natürlich auch ein ideales Haus
besitzt.
Dieses Haus hat
ein Schlafzimmer, das er als “das sicherste aller Zimmer” bezeichnet. In dem
Haus gibt es dann noch trockene Räume, in denen man Korn aufbewahrt und eine
kühle Vorratskammer, in welcher man den Wein lagert; daneben gibt es noch Räume
für alle jene Produkte und Gerätschaften, die Licht brauchen.
Die Zimmer die
zum Wohnen dienen, sind so ausgerichtet, dass sie im Sommer erfrischende Kühle
und im Winter behagliche Wärme bieten. Das ganze Haus ist nach Süden
ausgerichtet, damit die Sonne im Winter tief eindringen und im Sommer leicht
ausgeschlossen werden kann.
Entsprechend
der altgriechischen Tradition ist eine Wohnung unterteilt, wie die arabischen
Wohnungen, in einen Bereich der Frauen (gynaikonitis)
und einen Bereich der Männer (andronitis).
Im Frauenteil schlafen auch die Sklavinnen, so wie die männlichen Sklaven im
Männerbereich schlafen. Die beiden Bereiche sind durch eine verschliessbare Tür
verbunden um jede Art von Promiskuität auszuschliessen.
In der
Beschreibung, die Ischomachos von seinem Haus gibt, berichtet er ausdrücklich
von dessen Ausrichtung nach der Sonne. Die Tatsache, dass es sich um ein
ideales Haus handelt, zeigt, dass eben nur wenige Häuser diesen Vorteil hatten.
Es ist einleuchtend, dass in einer uralten und überfüllten Stadt wie Athen mit
einem verwinkelten Labyrinth kleiner Gässchen, die meisten Häuser eng, dunkel
und feucht waren.
Und genau
aus diesem Grund, d.h. weil man die Nachteile und Gebrechen der alten Städte
genau kannte, baute man in den neuen Kolonialstädten Musterhäuser mit
geräumigen und gut belichteten Wohnungen. Die Bebauungspläne wiesen die dazu notwendigen
grossen Bauparzellen aus.
Die
Wohnverhältnisse in den antiken griechischen Städten waren alles andere als
ideal, wie die archäologischen Ausgrabungen zeigen. Es gibt jedoch auch eine
antike Beschreibung einer der üblichen Stadtwohnungen. Diese Beschreibung
stammt aus den Prozessakten des Lysias (ca. 450-380 v.u.Z.), einem berühmten Redner und Juristen, in welchen dieser
einen Mann namens Euphiletos verteidigt, der beschuldigt wird Eratosthenes, den
Liebhaber seiner Frau, getötet zu haben (3).
Euphiletos, sagt, er hatte beide in flagranti angetroffen, wie sie
Ehebruch begingen, was den athenischen Gesetzen zufolge den Ehemann erlaubte
den Rivalen zu töten. Er gibt dazu eine genaue Beschreibung seiner Wohnung in
welcher die Tat stattgefunden hatte:
„Jetzt, meine Herren,
muss ich Ihnen erklären, dass sich meine Wohnung über zwei gleichgrosse
Geschosse erstreckt. Das obere Geschoss, das sichere von beiden, gehört den
Frauen, während das untere Stockwerk den Männern vorbehalten ist. Als nun unser
Kind geboren wurde, hat die Mutter es gestillt und um es zu waschen musste sie jedes
Mal die steile Treppe hinuntersteigen. Um dieses gefährliche Hinuntersteigen zu
vermeiden, habe ich begonnen das obere Stockwerk zu bewohnen und meine Frau das
untere“.
Das von Euphiletos beschriebene Haus hat zwei
Etagen, deren genaue Grösse man jedoch nicht kennt, die untere gehört den
Männern, die obere den Frauen. Die beiden Stockwerke sind durch eine steile
Treppe miteinander verbunden, die für eine schwangere Frau und für eine Frau
mit einem Baby im Arm, äusserst schwierig zu benutzen ist, weshalb man
entschieden hat, zu tauschen und die Frau im unteren Geschoss wohnen zu lassen.
Dieser Umstand war es, der es der Frau erleichtert hat, Ehebruch zu begehen.
Auch Vitruv (4) hat uns die Beschreibung einer griechischen Wohnung
hinterlassen, aber die ist so wenig vertrauenswürdig, weil sie in keiner
Beziehung zu dem passt, was wir von griechischen Wohnungen wissen, ausserdem
bezieht sich die Beschreibung nicht auf eine normale Wohnung, sondern auf die
eines ultrareichen Mannes.
Was das Haus betrifft, so sagt Aristoteles, in Übereinstimmung mit
Sokrates, das dieses im Sommer gut belüftet und im Winter gut von der Sonne
erwärmt sein sollte, ausserdem sollte es gut vor den kalten Nordwinden
geschützt sein.
Von der
altgriechischen Hausarchitektur kennen wir zwei hauptsächliche Haus-, bzw. Wohnungstypen:
das Pastas-Haus und das Prostas-Haus. Beides sind Typen, die wir
von Neubauquartieren und neu angelegten Städten kennen. Beide werden
nachfolgend beschrieben. Die Beispiele stammen aus zwei Städten: Olynthos und
Priene.
Das Pastas-Haus
Die pastas, nach
der dieser Haustyp benannt ist, ist eine Loggia oder überdeckter Gang, der an
einem Innenhof liegt und zur Erschliessung der einzelnen Räume dient. Diese
antiken griechischen Häuser waren nach allen Seiten hin geschlossen und hatten
nach aussen keine Fenster wie unsere heutigen Wohnungen. Die Tür, durch welche
man das Haus von der Strasse her betrat, war in der Regel die einzige grössere Öffnung
nach aussen. Von der Strasse aus kam man in einen kleinen Vorraum über welchen
man in den Innenhof gelangte. Dieser Innenhof lag meist im südlichen Teil des
Hauses und die Loggia, die pastas,
auf dessen Nordseite. Diese Anordnung hatte den Vorteile, dass man bei Regen in
der Loggia im Trocknen und bei heisser
Sonne im Schatten arbeiten konnte.
Olynthos - Schemagrundriss eines Pastas-Hauses (nach N.Cahill)
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Neben der Haustür lag ein kleines Fenster, damit man
sehen konnte, wer an die Tür klopfte. Das Fenster war jedoch zu klein, um Dieben
den Einstieg zu ermöglichen. Zur Strasse öffnete sich auch die Werkstatt oder
der Laden des Hausbesitzers.
Auf der einen Seite des Hauses, unweit des Eingangs,
lag der Männertrakt, der andron, wo der
Hausherr seine Freunde empfangen und
Gelage feiern konnte. Die Frauenräume und die Küche waren von der Loggia aus
zugänglich. Neben der Küche lag das Bad, damit man das heisse Wasser nicht weit
tragen musste.
Die Zimmer des Hauses hatten keine Fenster; sie waren deshalb
ziemlich dunkel. Licht erhielten sie nur über die Tür, die meist nur mit einem
Vorhang verschlossen war. Aber man lebte
und arbeitete, soweit es das Wetter erlaubte, hauptsächlich im Freien. Den
Häusern konnte bei Bedarf ein Obergeschoss hinzugefügt werden, in das man vom
Innenhof über eine Treppe gelangte.
Dieser Haustyp war sehr funktionell und recht geräumig;
ein enormer Fortschritt, wenn man ihn mit den engen und dunklen Häusern in den
alten Städten vergleicht. Der Innenhof bot Licht und Luft und war
windgeschützt. Man muss jedoch auch daran denken, dass solche Häuser nur im
Rahmen geplanter städtischer Neuanlagen und Stadterweiterungen realisiert
werden konnten. In solchen Fällen wurde ein Bebauungsplan auf gestellt und das entsprechend
Terrain parzelliert.
Das Prostas-Haus
Der zweite Haustyp, den wir vorstellen wollen, ist das Prostas-Haus. Dieser Typ vereinigt zwei
architektonische Elemente, die im Mittelmeerraum sehr verbreitet waren: das megaron und den Innenhof.
Das megaron
ist eine grosse rechteckige, zwei Geschosse hohe Halle. Sie gab es schon in
Mykenischer Zeit. Vor diesem Halle lag oft eine Vorhalle (pronao) mit einem von Säulen getragenem Dach. Megaron wurde auch der grosse Saal mit einer zentralen Feuerstelle
genannt, in dem Könige wie Odysseus und Agamemnon Hof hielten. Aber
dabei handelt es sich um ein andere Art von Gebäuden.
Prostas-Haus mit Megaron
Prostas-Häuser mit Innenhof hat man zum Beispiel in
Priene, einer kleinasiatischer Stadt, gefunden. Diese Häuser betrat man von der
Strasse aus durch einen etwas zurückspringenden Eingang und einen schmalen
überdeckten Gang oder einen Weg, der in den Innenhof führte, von dem aus man in das megaron gelangte. In anderen Teilen des Grundstücks,
ebenfalls vom Innenhof zugänglich, befanden sich die Werkstatt oder der Laden
des Hausbesitzers sowie Lager und Speicher.
Im Erdgeschoss des Megaron
lag der oikos, der Hauptraum
des Hauses, den man über eine säulengeschmückte Loggia, die prostas, betrat.
Von dieser Vorhalle hat der Haustyp seinen Namen. Neben dem oikos lag
der andron, der Männerraum, in dem drei, in Form eines U angeordnete
Bänke standen. Hier wurden Besucher empfangen und Bankette gefeiert. Eine
steile Treppe führte vom oikos in den Frauenbereich (thalamos o gineceo) im Obergeschoss, vor dem ein Balkon lag.
Das auf den Innenhof gegen Süden ausgerichtete megaron ist typisch für die
Architektur Prienes. Diese hervorgehobene Stellung unterstreicht die
Bedeutung dieses Hausteiles.
Priene - Grundriss und Schnitt eines Prostas-Hauses
Ausser aus Priene kennen wir diesen Haustyp auch aus
Kolophon. In der ersten hellenistischen Periode was Kolophon eine
wirtschaftlich florierende Stadt und hatte Häuser, die nach ähnlichen Kriterien
projektiert waren wie die in Priene, aber der Stadtplan war nicht von der
gleichen Regelmässigkeit und auch die Prostas-Häuser waren nicht so weit
entwickelt wie in Priene.
Schlussfolgerung
Die zwei eben vorgestellten altgriechischen Bauformen besitzen zwei Elemente, die „klimatisch“ genannt werden können: den Innenhof und die überdeckte Loggia. Gegenüber den Häusern der alten Griechenstädte machten diese zwei Elemente die Wohnungen wesentlich komfortabler, denn die Loggia war ein gut belichteter Ort, unter dessen Dach man vor Regen und Sonne geschützt arbeiten oder im Winter windgeschützt etwas Sonne geniessen konnte. Trotz des Innenhofes waren die Zimmer relativ dunkel, denn sie erhielten Licht nur über diesen und über die Eingangstür. Aber das war kein grosser Nachteil, denn das häusliche Leben spielte sich hauptsächlich im Freien ab.
Demosthenes erzählt, dass in Athen die ersten Häuser
mit Innenhof und Loggia gegen die Mitte des IV. Jahrhunderts v.u.Z. entstanden,
allerdings an der Peripherie der Stadt, wo es mehr Platz gab. Im Vergleich zu
den alten, dunklen und engen Wohnhäusern in der Altstadt, waren die neuen am
Stadtrand und in den neuen „hippodamischen“ Städten hell und geräumig. Der
Unterschied dürfte etwa der gleiche gewesen sein, wie jener zwischen den
Wohnungen in den Arbeitersiedlungen des 19. Jahrhunderts und den Wohnungen in
der Gartenstadt Ebenezer Howards.
Anmerkungen
(1) Xenophon: Erinnerungen an Sokrates III, 7. 8-10, Übersetzung
von Rudolf Preiswerk, Reclam, Stuttgart 2010
(2) Xenophon,
Oikonomikos, 2-11(3) Lysias, 1.9
(4) Vitruv, Buch VI, 7
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