Das Landgut
Eine Villa rustica
würden wir heute als Landgut bezeichnen. Ein Landgut besteht aus einem
Herrenhaus sowie den der Landwirtschaft im engeren Sinne dienenden
Baulichkeiten.
Für Vitruv ist das Herrenhaus eines Landgutes ein
herrschaftliches Haus und nicht sehr verschieden von dem in der Stadt. Ein
herrschaftliches Haus in der Stadt sollte allerdings besonders hohe
architektonische Qualitäten aufweisen, wogegen ein Herrenhaus auf dem Lande
etwas bescheidener sein kann, aber funktional sein muss um den Bedürfnissen
eines Landwirtschaftsbetriebes zu entsprechen. Vitruv nennt das Herrenhaus auf
dem Lande auch „pseudourban“ (1).
Das
Herrenhaus des Landgutes
Für das Herrenhaus eines Landgutes gilt also dasselbe,
was wir vorher über das herrschaftlichen
Hauses in der Stadt gesagt haben. Allerdings sind nicht alle Herrenhäuser von
Landgütern nach den von Vitruv beschriebenen Anweisungen für die villa urbana, das Atriumhaus in der
Stadt, gebaut worden, nicht zuletzt, weil
auf dem Lande die Möglichkeit bestand, die Architektur mit der umgebenden Natur
zu verbinden, z.B. in einer Parklandschaft ein abwechslungsreiches Miteinander
von Gebäuden, Terrassen, Säulengängen und Pergolen zu schaffen.
Plinius der Jüngere
(61/62-113/115 u.Z.) besass zwei solcher Villen, eine unweit von Ostia an der
tyrrhenischen Küste, die andere in Umbrien, in der Nähe des heutigen Città di
Castello. Von diesen beiden Villen ist fast nichts übrig geblieben. Wir kennen
sie nur aus den Beschreibungen, die Plinius in seinen Briefen von ihnen gab.
Die erstgenannte Villa ist in einem Brief an den Freund Gallus (2) beschrieben,
die zweite in einem Brief an Apollinaris (3)
Die Ökonomiegebäude
Neben dem Herrenhaus
gibt es auf einem Landgut noch viele weitere Gebäude: die Wohnung des Verwalters,
die Unterkünfte der Sklaven, Ställe, Kornspeicher und Magazine, Remisen und
Werkstätten. Was die Anordnung und Ausrichtung dieser ländlichen Gebäude
betrifft, schreibt Vitruv Folgendes (4):
“Zunächst soll man, wie das im ersten Buch hinsichtlich der Anlage der
Stadtmauern beschrieben ist, die Gegend auf ihre gesunde Lage hin betrachten,
und danach soll man die einzelnen Gebäude anlegen. Ihre Grösse bestimme man
nach der Grösse des Ackers und nach dem Ertrag der Feldfrüchte. Die Ställe und
ihre Grösse bestimme man nach der Zahl des Viehs und danach, wie viel Joch
Rinder sich dort aufhalten müssen. In dem Hofgrundstück soll man an einer
möglichst warmen Stelle die Küche anordnen. Sie soll mit den Rinderställen in
Verbindung stehen, deren Krippen nach dem Herd und nach Osten gerichtet sein
sollen, weil die Rinder, wenn Licht und Feuer sehen, nicht struppig werden.
Ferner glauben die Bauern, die mit den Himmelsrichtungen vertraut sind, dass
die Rinder nach keiner anderen Richtung als nach Osten schauen dürfen“.
„Ebenso sollen die Bäder mit der Küche in Verbindung stehen. Auf diese
Weise wird die Versorgung des ländlichen Bades nicht schwierig. Auch die
Ölpresse soll der Küche ganz nahe sein, denn so nämlich wird die Verarbeitung
der Oliven bequem sein. Und mit ihr soll das Weinlager in Verbindung stehen, mit
Fensteröffnungen nach Norden. Wenn es diese nämlich nach einer anderen Seite
hat, wo die Sonne es erwärmen kann, dann wird der in dem Raum aufbewahrte Wein
von der Wärme trübe und verliert seine Kraft. Der Vorratsraum mit dem Öl muss
so angelegt sein, dass er Licht von Süden und den warmen Himmelsrichtungen
erhält, denn das Öl darf nicht gefrieren, sondern muss durch Wärme flüssig
gehalten werden“.
„Die
Kornspeicher sollen erhöht und nach Norden oder Nordosten gerichtet angelegt
werden, weil auf diese Weise das Getreide sich nicht schnell erwärmen kann,
sondern es wird sich, vom Durchzug kühl gehalten, lange halten. Die übrigen
Himmelsrichtungen erzeugen nämlich Kornwurm und andere Tierchen, die üblicherweise
dem Getreide schaden. Den Pferdeställen seien die wärmsten Stellen auf dem
Gehöft vorbehalten, nur dürfen sie nicht gegen das Feuer gerichtet sein. Wenn
nämlich die Zugtiere nahe am Feuer eingestallt werden, wird ihr Fell struppig“.
„Ferner sind
Krippen, die ausserhalb der Küche im Freien gegen Osten angebracht werden,
nicht ohne Nutzen. Wenn nämlich die Rinder im Winter bei heiterem Himmel in der
Morgenfrühe zu ihnen getrieben werden, bekommt ihr Fell, dadurch, dass sie ihr
Futter in der Sonne fressen, einen schöneren Glanz“.
„Scheunen,
Vorratsräume für Heu und Futter und Backstuben sind, wie es scheint, ausserhalb
des Gutshofes anzulegen, damit dieser gegen Feuersgefahr gesichert ist“.
Columella (5)empfiehlt sogar den Bau von zwei Ställen, einer
für den Sommer und ein zweiter für den Winter. Für das Dienstpersonal sieht er
bequeme Räume vor, die gegen Westen orientiert sind.
Die Landgüter sollen also an gesunden Orten angelegt
werden. Die Küche solle an einer warmen Stelle des Gehöfts liegen, und mit den
Rinderställen verbunden sein. Diese sollen, einer alten Bauernregel zufolge, so
orientiert sein, dass die Tiere nach Osten schauen. Auch das Bad sollte mit der
Küche in Verbindung stehen, damit der Weg mit dem warmen Wasser kurz ist. In
Küchennähe soll auch die Ölpresse liegen und das Öllager soll nach Süden
ausgerichtet sein, damit es die Sonne erwärmen kann, denn das Öl darf nicht
gefrieren, sondern muss flüssig bleiben. Die Lager für Wein, Korn, Früchte und
Lebensmittel sollen hingegen kühl und deshalb nach Norden zu ausgerichtet sein.
Der Kornspeicher ist nach Norden oder Nordosten zu orientieren, damit er vom
Wind gut belüftet wird. Die Ställe sollen an einem warmen Ort stehen, aber
nicht in der Nähe der Küche. Heuschober
und die Futterspeicher sowie auch die Backöfen sollten wegen der Feuersgefahr
in einiger Entfernung von den anderen Gebäuden des Gutshofs stehen. Alle
Gebäude des Gutshofes sollten gut belichtet sein, insbesondere die
Speisezimmer, die Korridore und die Treppen.
Auf vielen Landgütern wohnten die Sklaven, welche die
Felder zu bestellen und die Tiere zu versorgen hatten, in speziellen
„Quartieren“, die ergastulum genannt wurden (diese Bezeichnung wurde später im
Italienischen der Begriff für lebenslanges Gefängnis). Es handelte sich um
Unterkünfte, die man heute als Ställe bezeichnen würde. Tatsächlich gab es auf
manchen Landgütern regelrechte Sklavenzuchten.
Die Ausrichtung zur Sonne, bzw. zu den
Himmelsrichtungen, ist ein Thema, das den sogenannten römischen Landwirtschaftsschriftstellen
sehr am Herzen liegt. In ihren Werken nehmen sie nicht nur Bezug auf die vier
Haupthimmelsrichtungen, sondern nennen noch andere wichtige Bezugspunkte des
Sonnenstandes am Horizont.
Grundriss der Villa rustica von Boscoreale. Die Villa war
ursprünglich dreigeschossig (nach Pasqui).
A Hof, M N, O Bäder , P torcularium (Traubenpresse),
Q Lager mit grossen Tonbehältern
Columella (6) unterscheidet in dieser Beziehung drei wichtige
Sonnenaufgangspunkte: den oriens brumalis, den Aufgangspunkt am Tag der
Wintersonnenwende (22. Dezember), den oriens aequinoctialis, den Aufgangspunkt am Tag der
Tagundnachtgleichen (21. März, 23. September) sowie den oriens aestivalis, den Punkt, an dem die Sonne am Tag
der Sommersonnenwende (21. Juni) aufgeht. Der oriens brumalis und der
oriens aestivalis sind je nach Breitengrad verschieden und müssen deshalb
für jeden Standort eigens bestimmt werden, was in römischer Zeit empirisch und
ohne komplizierte Berechnungen erfolgte.
Rekonstruktion des Gutshofes (Villa rustica) von Boscoreale
Gegen Ende der Römischen
Republik kritisiert Varro die Neigung der Architekten mehr Gewicht auf die
Wohnung des Gutsbesitzers zu legen, als auf die landwirtschaftlichen Gebäude
und stellt den luxuriösen Villen seiner Zeit die einfachen Landhäuser der
Vorfahren gegenüber, die hauptsächlich den bäuerlichen Tätigkeiten dienten.
Anmerkungen
(1) Vitruv, Vi, V, 3
(2) Plin. d.J., Epist.,
Buch II, Brief 17(3) Plin. d.J., Epist., Buch V, Brief 6
(4) Vitruv, VI, VI, 1-5
(5) Columella, de re rustica, lib.I, cap. VI
(6) Columella, de re rustica, lib.I, cap. VI
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