Von den städtischen
Wohnverhältnissen in römischer Zeit kennen wir aus der Literatur am besten diejenigen
in der Stadt Rom. Für den Rest haben wir aber viele archäologische Zeugnisse.
Man denke nur an die Ausgrabungen von Städten wie Pompeji und Herculanum in
Kampanien, wie Augusta Raurica und Aventicum in der Schweiz; wie Leptis Magna
und Timgad in Nordafrika. Alles Städte, deren Strukturen sich weitgehen erhalten
haben, weil sie schon in römischer Zeit verlassen worden sind.
In den Städten des
römischen Reiches wohnten nur die Reichen in einer domus. Der grösste Teil der städtischen Bevölkerung wohnte in
kleinen Gebäuden mit maximal drei Geschossen, in denen sich auch Werkstätten
und Läden befanden. Anders war es in der Grossstadt Rom, die in den ersten
Jahrhunderten u.Z. sich in ständiger Expansion befand und wo die bebaubaren
Flächen innerhalb der Stadtmauern äusserst knapp waren. Man musste deshalb in die
Höhe bauen.
Vielgeschossige Häuser entstanden in Rom schon
im 2. Jahrhundert v.u.Z. und am Ende der republikanischen Zeit, waren die Hochhäuser
schon so zahlreich, dass Cicero (1) sagen konnte, Rom sei eine in der Luft
hängende Stadt: Romam cenaculis sublatam atque
suspensam. Und Vitruv (2) schreibt:
Zur Zeit Trajans (53-117 u.Z.) hatte Rom mehr
als eine Million Einwohner und der überwiegende Teil der römischen Bevölkerung
wohnte in vielgeschossigen Häusern, insulae
genannt, die hauptsächlich Mietwohnungen (cenacula)
enthielten. Im 4. Jahrhundert u.Z. zählte man in Rom 46.602 solcher insulae, aber nur 1797 domus , also herrschaftliche Villen (3).
Der Ausdruck insula ist alt und stammt möglicherweise
von den Zwölf-Tafel-Gesetzen her. Diese schrieben vor, dass jedes Gebäude von
den benachbarten durch einen ambitus, einem
Zwischenraum von 2½ Fuss (75 cm) getrennt sein müsse. Der Abstand von 75
Zentimetern sollte den Zugang auf allen Seiten des Gebäudes im Brandfall
garantieren. In vielen Dokumenten wird die insula
der domus gegenüber gestellt um die
Miethäuser von den Häusern zu unterscheiden, die privates Wohneigentum waren.
Ostia. Graphische
Rekonstruktion der Fassade einer insula
(Quelle: Brödner, E.: Wohnen in der Antike)
Die
insulae waren genau das Gegenteil vom
Atriumhaus. Das Atriumhaus entwickelte sich horizontal, die insula in die Höhe Die Zimmer einer domus waren gegen da Atrium, also nach innen gerichtet, dagegen
waren die Wohnungen in einer insula gegen
aussen orientiert und hatten Fenster, die zur Strasse hinaus gingen. Diese
Wohnungen erreichte man von der Strasse aus über einläufige Treppen, die
jeweils auf einem bestimmten Geschoss endeten.
Reste von Mietshäusern
haben sich bis zum zweiten Obergeschoss erhalten, zwar nicht in Rom selbst,
sondern in Ostia, der Hafenstadt Roms. Auf der Grundlage dieser Reste haben
einige Forscher die Grundfläche von insulae
errechnet. Demzufolge variierte die Grundfläche einer insula zwischen 200 und mehr als 300 Quadratmeter bei einem Mittel
von 240 Quadratmetern (4).
Die grossen Miethäuser Roms, in welchen die Bevölkerung regelrecht eingepfercht lebte, waren an der Strassenfront fünf bis sechs Geschosse hoch und dahinter oft noch höher. In den Wohnungen gab es weder Wasser, noch Heizung und die Belichtung war oft minimal. Das Wasser musste man an den öffentlichen Brunnen holen, die es in Rom in reicher Fülle gab, aber niemand mochte es bis in die Wohnungen unterm Dach schleppen. Auch gab es keine Aborte auf den Geschossen. Im besten Fall gab es eine Sinkgrube im Erdgeschoss. Der Urin wurde in grossen Tonbehältern gesammelt, die regelmassig von den Färbereien und Gerbereien geleert wurden. Nicht selten leerte man aber die Nachttöpfe aus den Fenstern direkt auf die Strasse. Wer in seiner Wohnung sich etwas kochen wollte, musste dies auf einem Kohlenbecken tun, das im Winter auch die einzige Wärmequelle war. Hatte die Wohnung einen Balkon, so kochte man dort, andernfalls nahe beim Fenster um den beissenden Rauch abziehen zu lassen.
Ostia, Casa dei giardini (nach: G.Calza &
G.Becatti)
Im Erdgeschoss einer typischen insula, lagen Werkstätten, Läden und
Gaststätten; alle mit einem eigenen Eingang von der Strasse. Die Höhe des
Erdgeschosses erlaubte den Einbau von Zwischenböden (pergulae), auf
denen oft die gesamte Handwerkerfamilie mit samt Sklaven wohnte und schlief. Im ersten Stock lagen die elegantesten
und teuersten Wohnungen (caenacula), die meist auch Balkone (maeniana) hatten.
Hier wohnten die Bessergestellten. Auch die Wohnungen im zweiten Stock waren
noch elegant. Hier waren die Balkone schon einfacher, nämlich aus Holz (pergulae). Je weiter man nach oben
stieg, um so einfacher und billiger waren die Wohnungen, in denen die ärmeren
Leute wohnten. Die obersten Geschosse waren oft aufgesetzte Holzkonstruktionen
und einige Wohnungen lagen direkt unter dem Dach. Von dort aus hatte man zwar
eine schöne Sicht auf die Stadt, manchmal nur durch die Ritzen der Wände und
kaputte Ziegel, denn die obersten Wohnungen waren reine Bruchbuden, klein und
niedrig. In einem einzigen Raum lebte oft eine ganze Grossfamilie. Die Wände
waren aus Brettern oder dünnen Tonplatten, sie schützten nicht gegen Kälte und
Hitze und man hörte alles was in der Nachbarwohnung gesprochen wurde. Die
Fenster, auch die in den unteren Stockwerken, waren unverglast, denn Flachglas
war sehr teuer. In keiner der bekannten insulae
ist je ein Stuck Glas oder Glimmer zum Vorschein gekommen. Die Fenster liessen
sich nur durch geölte Leinwandvorhänge oder Pergament schliessen, manche hatten
auch hölzerne Fensterläden, so dass man die Wahl hatte zwischen Dunkelheit einerseits
und Licht und Wind andererseits (5).
Diese oft riesigen Gebäude
waren an keine Wasserleitung angeschlossen. Bestenfalls gab es Wasser im
Erdgeschoss. Die Mieter mussten sich das Wasser an einem der vielen
öffentlichen Brunnen (ad usum popoli) holen. Es entwickelte sich deshalb schnell der Beruf des Wasserholers (aquarius), den Martial den untersten aller Berufe bezeichnet. Diese
Menschen brachten das Wasser unter enormen Anstrengungen gegen ein kleines
Entgeld bis in die Wohnungen derer, die sich diese Dienstleistung bezahlen
konnten. Diese Arbeiter gehörten oft zur insula
und wurden mit ihr zusammen verkauft, wenn das Gebäude an einen anderen Eigentümer
überging.
Es
erstaunt deshalb nicht, wenn in den obersten Stockwerken der insulae sich der Dreck und Unrat häufte.
Niemand nahm sich die Mühe zu putzen, auch weil niemand Putzwasser bis dort
oben zu tragen gewillt war. Abfälle wurden einfach die Treppe hinunter oder
gleich aus dem Fenster auf die Strasse geworfen.
Wie
erwähnt, hatten die Bewohner der insulae
kein Heizsystem zur Verfügung, weder Öfen noch Kamine. Alles war sie hatten,
waren Kohlebecken und wenn sie diese benutzten, waren sie immer
gesundheitsschädlichem Rauch und giftigen Gasen ausgesetzt. Aber nicht nur das
war die grösste Gefahr, wenn man in einer insula
wohnte. Die Bewohner waren ständig in Gefahr. In diesen Gebäuden musste man
ständig mit Branden und Einstürzen rechnen.
Normalerweise
waren die Mietwohnungen in Untermiete und in Rom ausserdem teurer als in jeder
anderen Stadt Italiens. Die insulae
wurden in der Regel aus reiner Spekulation von wohlhabenden Personen errichtet,
von Bürgern, Freigelassenen oder auch Sklaven, welche die Vermietung zum
Höchstangebot an Unternehmen vergaben, die ihrerseits die Wohnungen an andere
weitervermieteten, welche die Mietzinse von den Bewohnern einzutreiben hatten.
Und Letztere bedienten sich keineswegs sanften Methoden, um zu ihren Geld zu
kommen.
Regelmässig mussten die
Bewohner Kündigungen erleiden, weil der Vermieter den Mietzins erhöhen wollte
und nicht selten, bevor sie eine neue Unterkunft gefunden hatten, mussten sie
für eine Weile auf der Strasse schlafen, unter einem der vielen Säulengänge,
sie es in der Stadt gab, oder an einem anderen etwas geschützten Ort in der
Stadt. Alles das ähnelt etwas dem, was uns heute noch in vielen Städten
begegnet. Alte Hauser, die abgerissen
werden sollen, werden rasch noch pro Bettstelle zu hohen Preisen an Immigranten
vermietet.
Ostia. Schnitt
eines mehrgeschossigen Mietshauses (insula)
(Quelle: Brödner, E.: Wohnen in der Antike)
In den insulae gab es wenig Platz und folglich ergoss sich jeden Morgen
ein Flut von Menschen auf die Strassen der Hauptstadt. Die einen gingen zu den
Häusern der Reichen sich, um sich dort für eine Arbeit, einen Auftrag
anzubieten, andere gingen zur Arbeit in ihre Werkstatt und wieder andere machten
sich auf die Suche nach einer Tätigkeit als Tagelöhner. Etwa so, wie man das
noch heute in den Metropolen des Orients beobachten kann. Viele Leute betreiben
einen kleinen Handel, verkaufen Wasser und Getränke, andere suchen in den
Abfällen nach etwas verwertbaren, das sich möglicherweise verkaufen lässt und
wieder andere hoffen auf eine Gelegenheitsarbeit, die das Geld zum Leben für
einen Tag einbringt.
Man muss sich vergegenwärtigen,
dass im Altertum und auch noch im Mittelalter, die meisten Menschen, und nicht
nur auf dem Lande, sondern auch in der Stadt, ihre Tage im Freien, auf der
Strasse und auf den Plätzen verbrachten. Die Wohnung diente hauptsächlich zum
Schlafen und deshalb hatte man auch wenig Bedarf an Beleuchtung. In einer
Grosstadt wie Rom musste man nicht einmal zuhause kochen. Es war normalerweise
einfacher sich etwas zum Essen in einem der vielen Läden und Tavernen (popinae,
thermopolium) zu kaufen.
Und die Sonne? Wird man sich
nun fragen. Was hat das mit klimagerechtem Bauen zu tun? In die insulae schien
kaum Sonne – trotz der Fenster zur Strasse. Die Gebäude waren hoch und die
Strassen schmal.“Die mittlere Breite der Strassen betrug zwischen 4,5 und 5,0
Meter; die grösseren Strassen waren 6,0 Meter breit und erstickt durch sehr
hohe Bauten“, schreibt Ferdinando Castagnoli (6), einer der besten Kenner der
Topographie des alten Roms. 21 Meter war die maximale, von Caesar verordnete
Gebäudehöhe, 18 Meter die unter Traian festgelegte. Die erlaubte Gebäudehöhe
war also das Drei- bis Vierfache der Strassenbreite. Sonne erhielten nur die
obersten Geschosse, d.h. die schlechtesten von allen Wohnungen, allerdings nicht
selten nur durch Ritzen im Mauerwerk oder von dort, wo das Dach undicht war.
Und diese Geschosse waren tagsüber meistens leer, weil ihre Bewohner auf der
Strasse waren, oder in den öffentlichen Bädern, im Zirkus oder sonst irgendwo
im Freien wo auch die Sonne schien und man ein paar As oder ein Stück Brot
ergattern konnte.
Wer hingegen entdecken will,
auf welche Art die römischen Architekten die Sonne passiv auszunutzen
verstanden, muss sich mit den grossen öffentlichen Bädern beschäftigen, mit den
kaiserlichen Thermen.
Schlussfolgerung
Heute ist das
Zentrum einer normalen Wohnung das Wohnzimmer mit grossen Fenstern, die viel
Licht und Sonne hereinlassen, Sicht nach draussen erlauben und es zum hellsten
aller Räume der Wohnung machen. Vollständig anders war das Wohnen in römischer
Zeit. Nur Läden und Werkstätten öffneten sich gegen aussen. Wohnen wollte man
ungestört und privat. Das Haus muss gegen aussen abgeschlossen sein. Und dieses
Bedürfnis erfüllt die römische domus
und noch besser die domus mit einem
Peristyl-Garten dahinter. Der Wohlhabende lebt nicht auf der Strasse wie das
gemeine Volk. Sein Familienleben geht niemanden etwas an.
Im
Haus braucht man auch keine Sonne. Wer Sonne will, kann ja ins Freie gehen oder
in den Garten. Das Atrium, der Hauptraum des Hauses erhält Licht von oben,
durch eine Öffnung im Dach. Die Höhe des Atriums macht es der Sonne unmöglich
bis auf den Boden zu scheinen. Licht ja, Sonne nein. Auch die Schlafräume
brauchen keine Sonne; man benutzt sie ja nur nachts, wenn die Sonne nicht
scheint. Der Garten ist von Säulengängen umgeben, in denen man sich im Sommer
kühlen Schatten und im Winter die wärmenden Sonne geniessen kann.
Der
überdeckte Säulengang (porticus) ist
wegen seiner Nützlichkeit ein weitverbreitetes Element in der griechischen und
römischen Architektur. Er bietet Schatten, wenn die Sonne brennt, Trockenheit,
wenn es regnet, und er schützt auch vor
widrigen Winden. Die Griechen nennen ihn stoa.
Vitruv empfiehlt den Bau von Säulengängen auch in der Nähe von Theatern, denn
er bietet den Zuschauern eine Zufluchtsstätte, wenn die Aufführung durch einen
Platzregen unterbrochen werden sollte. Ausserdem kann in den Säulengängen
Brennholz trocken gelagert werden, was wichtig ist, wenn die Stadt belagert
wird. „So erfüllen Wandelgänge (porticus ambulationes) unter freiem Himmel
zwei hervorragende Zwecke: einmal dienen sie in Friedenszeiten der Gesundheit,
zum anderen in Kriegszeiten der Sicherheit“, schreibt Vitruv (7)
Anmerkungen
(1) Cicero, De Leg. Agr., II, 96
(2) Vitruv, II, 3, 63-65 (3) Carcopino, Jérôme: La vita quotidiana a Roma, Roma/Bari 2008, S. 28
(4) Castagnoli, F.: Topografia e urbanistica di Roma antica. Bologna 1969, S. 167
(5) Carcopino, Jérôme: La vita quotidiana a Roma, op. cit., S. 46
(6) Castagnoli, Ferdinando:Topografia e Urbanistica di Roma antica, Bologna 1969, S. 65
(7) Vitruv, V, IX, 9
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