martedì 26 novembre 2013

Licht, Luft und Sonne


Licht, Luft und Sonne” war das Motto der Architektur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, die von manchen als „Internationaler Stil“ bezeichnet wird. Unter den Protagonisten dieser Architektur befinden sich Namen wie Le Corbusier (1887–1965), Frank Lloyd Wright (1867–1959), Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969), Gerrit Rietveld (1888–1964) Walter Gropius (1883–1969), Erich Mendelssohn 1887–1953), Marcel Breuer (1902-1981), Alvar Aalto (1898–1976), Oscar Niemeyer (1907-2012), Hans Scharoun (1893–1972) und viele  andere, weniger berühmte Architekten, die den architektonischen Stil des letzten Jahrhunderts geprägt haben.

In der Architektur jener Zeit spielt die Sonne eine wichtige Rolle, wenn auch nicht die, welche heutigen Verfechter der Sonnenenergie und der erneuerbaren Energien im Allgemeinen im Sinn haben. Diese sehen in der Sonne nur eine Energiequelle, mit der sich Häuser heizen lassen und elektrischer Strom erzeugen lässt. Mit dieser utilitaristischen Idee der hat die moderne Architektur des 20. Jahrhunderts wenig zu tun. Ihr Ziel war es, einem sozialen und gesundheitlichen Missstand abzuhelfen. Sie wollte der arbeitenden Klasse, die weitgehend in viel zu engen, düsteren und ungesunden Verhältnissen lebte, zu gesunden und wirtschaftlich erschwinglichen Wohnungen zu verhelfen in denen es viel Licht und Sonne gab.

Um die Bedeutung des Mottos „Licht, Luft und Sonne“ voll würdigen zu können, muss man sich die Wohnverhältnisse vergegenwärtigen, in denen am Ausgang des 19. Jahrhunderts viele deutsche Arbeiter lebten. Dann wird auch sofort klar, warum unter den Vätern der modernen Architektur so viele deutsche Architekten waren.

Das Erbe des 19. Jahrhunderts

Um das Jahr 1800 lebte in Deutschland nur etwa drei Prozent der aktiven Bevölkerung in grossen Städten. Die meisten Menschen lebten auf dem Lande. Dort waren die Lebensbedingungen alles andere als leicht. Die starke Zunahme der Landbevölkerung und die „Befreiung“ der Landarbeiter, die bis dahin eng an den Grundbesitz gebunden waren, hatten katastrophale Konsequenzen. Die Landwirtschaft war nicht mehr in der Lage den Überschuss an arbeitsuchenden jungen Leuten zu absorbieren. Diese Bevölkerung wuchs ständig und die Abschaffung der Leibeigenschaft nahm ihr den Rest an sozialer Sicherheit, den sie bis dahin gehabt hatte. Die Situation verschlechterte sich noch durch eine Reihe von Missernten, welche grosse Teile der Landbevölkerung weiter verarmen liess.  Aus diesem Grund gaben viele Menschen ihre Heimat auf und zogen in städtische Gebiete, wo eine junge, sich entwickelnde Industrie ununterbrochen auf der Suche nach billigen Arbeitskräften war.

Die auf diese Weise entwurzelte Landbevölkerung war nun „frei“, aber auch ohne jeden Schutz und ohne Mittel, die ihr ein Auskommen hätte geben können. Um die eigene Familie durchzubringen, waren alle arbeitsfähigen Männer, Frauen und Kinder gezwungen in den neuen Fabriken Arbeit zu niedrigsten Löhnen anzunehmen und 60 bis 70 Stunden in der Woche zu arbeiten. Die Löhne der Fabrik waren zwar höher als die, die man den Arbeitern auf dem Lande bezahlte, aber in der Stadt musste man die Wohnung mieten, die auf dem Lande den abhängigen Arbeitern meistens unentgeltlich zur Verfügung gestanden hatte. Der Industriearbeiter musste zwar hart arbeiten, aber es gab feste Arbeitszeiten, während es auf dem Lande quasi nie Feierabend gab. Die erste Industrie, die im Jahr 1900 in Deutschland den Achtstundentag einführte war die Fima Zeiss in Jena.

Die Landflucht führte zu einem wachsenden Bedarf an Wohnungen in den städtischen Gebieten. Gerissene Baumeister und Immobilienspekulanten nutzten diese Situation sofort aus und begannen mit dem Bau von Miethäusern mit vielen Kleinstwohnungen ohne jeglichen Komfort, die sie zu horrenden Preisen vermieteten. Die berüchtigten Mietskasernen waren geboren. Während man in England für die Fabrikarbeiter kleine Reihenhäuschen baute, die jeweils einer Familie Platz boten, weil die Leute nicht mit anderen unter dem selben Dach wohnen wollten, entstanden in Deutschland und in Österreich, besonders in Berlin und Wien, riesige Wohnblöcke von denen jeder dutzende von Kleinstwohnungen enthielt.

Diese in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Mietskasernen waren vier- bis fünfgeschossig, enorm tief und die Wohnungen bestanden oft aus nur einem Zimmer und einer Küche. Das meist einzige Fenster der Wohnung erhielt Licht über einen kleinen Hof, der meistens nicht mehr als 5,30 x 5,30 Meter im Geviert mass. Die Küchen waren in der Regel innenliegend und fensterlos. Wasseranschluss gab es nur auf den Treppenabsätzen, wo auch die Aborte lagen.
 
Die Mietskasernen bestanden aus einem Vorderhaus an der Strasse und mehreren Hinterhäusern, die durch  kleine Höfe getrennt waren. Hinter dem ersten Hof lag ein zweiter, ein dritter usw. Es gab Mietskasernen mit sechs Hinterhöfen. Diese grauen, dreckigen von hohen Mauern umschlossenen Höfe ohne Sonne, bildeten die Welt der Arbeiterfamilien und ihrer Kinder.
 
Grundriss einer Wiener Mietskaserne des 19. Jahrhunderts mit Kleinstwohnungen und Aborten auf den Treppenabsätzen.   
 
Dem Geschmack jener Zeit entsprechend war die Architektur dieser Wohnblöcke historisierend: die Gerichte hatten Fassaden, die an griechische Tempel erinnern sollten, die Rathäuser waren gotisch und die Fassaden der Vorderhäuser dieser Mietskasernen vereinigten alle möglichen Stile, entsprechend dem Geschmack des Bauunternehmers oder Eigentümers (1). Die Hinterhäuser waren hingegen schmucklos und grau. “Vorne hui, hinten pfui”, sagte man damals in Deutschland. 
Die kleinen, engen Arbeiterwohnungen waren folglich schlecht belichtet und oft konnten sie nicht einmal richtig belüftet werden. Einen Schornstein gab es nur in der Küche, dem einzigen heizbaren Raum. Einer Familie mit vier und mehr Personen stand oft nur ein einziges Zimmer zur Verfügung und in einem Bett mussten mehrere Personen schlafen. Um die Miete bezahlen zu können, waren viele Familien gezwungen ihre Betten stundenweise an Fremde zu vermieten.
Berlin stand im Verruf die grösste Ansammlung der Welt von Mietskasernen zu besitzen. Im viel grösseren London lebten die Arbeiter in kleinen Reihenhäusern und die grossen Mietshäuser in Paris und New York hatten zumindest keine dunklen und stinkenden Hinterhöfe. In Berlin reihten sich hingegen die Mietskasernen über Kilometer und bildeten ganze Stadtviertel, wie zum Beispiel die Friedrichstadt. Zwischen 1850 und 1914 stieg die Zahl der Einwohner Berlins von 420.000 auf 3,8 Millionen. Die Fabriken suchten immer mehr Arbeitskräfte und die Immobilienspekulation liess sich keinen Quadratmeter Bauland entgehen. Das nannte man stolz „Gründerzeit“.
 
 
Berlin. Luftaufnahme des  Friedrichstadt-Quartiers mit seinen Mietskasernen. Sehr deutlich sieht man die hintereinander liegenden Hinterhöfe.  
 
Im Ruhrgebiet waren die Verhältnisse nicht viel besser. Millionen Menschen lebten dort zwischen staubigen Kohlehalden, Bergwerken, Bahngleisen, qualmenden Schornsteinen, verrussten Fabriken und lärmigen Eisenhütten.
Schon 1870 hatten Ärzte und Hygieniker Untersuchungen über die Wohnverhältnisse der Arbeiter angestellt, in den sie zeigen konnten, dass diese überaus engen und primitiven Wohnverhältnisse ständig die Gesundheit der Menschen bedrohten und die Ursache von Krankheiten und Todesfällen waren. Die Überbelegung dieser winzigen Wohnungen schuf ideale Bedingungen für die Ausbreitung von vielerlei physischen und psychischen Krankheiten.
 
 
Hof einer Mietskaserne
 
Tausende Personen starben an Krankheiten wie Cholera und Ruhr, die sich aufgrund dieser ungesunden Wohnbedingungen verbreiten konnten. Schlechte Luft und wenig Licht und die Überbelegung der Wohnungen begünstigten die Verbreitung von Tuberkulose, Rachitis, Lungenentzündung und Diphtherie. Ein weitere Bedrohung der Gesundheit war die Ofenheizung mit Kohle. Weil es in den Wohnungen einen Schornsteinanschluss nur in der Küche gab, wurde die Wohnung niemals gleichmässig warm obwohl sie meisten nur aus einem einzigen Zimmer bestand. In vielen Wohnungen wurde überhaupt nicht geheizt, weil die Leute sich keine Kohle und Feuerholz leisten konnten. Dadurch blieben viele Wohnungen kalt und feucht. Nicht selten befanden sich die Mietskasernen in der Nähe der Fabriken und waren somit dem Rauch und dem Staub ausgesetzt, den die Schlote ausstiessen.
Schon im 19. Jahrhundert hatten verschiedene Architekten, wie R. Baumeister und J. Stübben, versucht, eine städtebauliche Reform durchzusetzen und dazu auch die Regeln erarbeitet, um übertrieben hohe Bebauungsdichten und die damit verbundenen Nachteile zu vermeiden. Ihre Ideen und Mahnungen blieben jedoch völlig unbeachtet. 
Die Architektur jener Zeit wurde von Architekten geprägt, die sich der Romantik verpflichtet fühlten, wie zum Beispiel Camillo Sitte, der von einem künstlerischen Stadtbau schwärmte und in keiner Weise an sozialen und wirtschaftlichen Fragen der Stadtplanung interessiert war. Den Städtebau bestimmten private Unternehmer und Immobilienspekulanten, welche die liberalen Baugesetze bis zum Letzten ausnutzten, um höchstmögliche Renditen zu erzielen. Dies blieb so bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.
Am 16. November 1920 schrieb Kurt Tucholsky in der Zeitschrift „Freiheit“, dem Blatt der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), die folgenden Sätze:
“Die deutschen Häuser in den Elendsvierteln Berlins haben alle ein Vorhemdchen an“, hat Graf Kessler einmal gesagt. Aussen hui. Und innen? Innen so, dass mir einmal ein zurückgekehrter Kriegsgefangener sagte: “Ich war fünf Jahre in Sibirien. Da haben sie uns immer erzählt, wie elend die Russen leben. Aber hier! (Er deutete auf seine jämmerliche Stube, in der sieben Personen männlichen und weiblichen Geschlechts schlafen mussten.) Sehen Sie sich das an. Das ist ja viel schlimmer! Und keiner hilft uns!” Und das Traurigste ist, dass es Leuten so geht, die noch etwas verdienen. Was tun die Arbeitslosen  -? Sie vertieren.

 
Eine radikale Alternative

Angesichts der beschriebenen Wohnverhältnisse, in denen ein beträchtlicher Teil der arbeitenden Bevölkerung gezwungen war zu leben, überrascht es nicht, dass es nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eines der ersten Anliegen der neuen sozialdemokratische Regierung Deutschlands war, diese Missstände so rasch wie möglich zu beseitigen und zwar durch den  Bau ganzer neuer Stadtviertel mit Wohnungen, die „Licht, Luft und Sonne“ boten und zwar zu Mieten, die für eine normale Arbeiterfamilie erschwinglich waren.

Die katastrophale soziale und wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse war eine Herausforderung für viele junge Architekten, die von der historisierende Architektur des 19. Jahrhunderts genug hatten, diese der Falschheit und Verlogenheit bezichtigten, denn sie hatte sich aller historischen Architekturstile bedient, als wären es wohlfeile Versatzstücke. Um diese Falschheit anzuklagen, veröffentlichte der österreichische Architekt Adolf Loos (1870-1933) im Jahr 1908 seine berühmte Streitschrift „Ornament und Verbrechen“ (2), ein herausfordernder Text, in der Loos die soziale Wichtigkeit der Herstellung funktionaler Objekte von einfachster Form herausstellt und eine Architektur fordert, die auf jegliches dekoratives Element verzichtet.

In die gleiche Richtung zielen die berühmte Formulierung Form follows function des amerikanischen Architekten Louis Sullivan (1856-1924) und das Weniger ist mehr Ludwig Mies van der Rohes (1886-1969).

1907 wird auf Initiative von Hermann Muthesius in München der Deutsche Werkbund als wirtschaftskulturelle „Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen“ gegründet. Der Zweck des Bundes war die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen.“ Funktionale Gegenstände und Gebäude, die den Anforderungen des Industriezeitalters entsprechen, sollten mit modernen Materialien hergestellt werden.

Und Walter Gropius schreibt 1913:

Die neue Zeit fordert den eigenen Sinn. Exakt geprägte Form, jeder Zufälligkeit bar, klare Kontraste, ordnende Glieder, Reihung gleicher Teile und Einheit von Form und Farbe werden entsprechend der Energie und Ökonomie unseres öffentlichen Lebens das ästhetische Rüstzeug des modernen Baukünstlers werden.“
 
Anmerkungen
(1) Als man Friedrich Schmidt, den Stadtarchitekt von Wien, fragte, ob dieses Gebäude besser im gotischen Stil oder im Renaissancestil gebaut sei, antwortete dieser: “ Es handelt sich um das Werk eines Künstlers, der die gesamte Architektur der Vergangenheit verinnerlicht hat“.   
(2) Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen, in: Ulrich Conrads (Hrsg.): Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, Bauwelt Fundamente, Nr. 1, Frankfurt am Main/Berlin 1964
 
 
 
 

 

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