Einer der
bekanntesten Architekten des 20.Jahrhunderts und einer der Väter der modernen
Architektur war Charles-Edouard Jeanneret, besser bekannt unter dem Namen Le
Corbusier (1887-1965). In LC‘s Architektur spielt die Sonne eine wichtige
Rolle, aber nicht als alternative Energiequelle um Wohnungen und ganze Gebäude
zu heizen, sondern weil die Sonne es ist,
die den Rhythmus unseres menschlichen Lebens bestimmt. Die Sonne ist die
Quelle des Lichts und der Gesundheit. So schreibt er (1):
“Architecture,
urbaniste, notre bonheur, l’état de notre
conscience,
l’équilibre de
notre vie individuelle, le rythme de
nos devoirs collectifs sont gérés par
le régime de 24 heures, le cycle de 24 heures du soleil. Le soleil commande.
Tout: pensée, action, mouvement, fonctions, initiatives, obligations, se
situent dans une mesure exacte, fatale, entre les deux portes de deux sommeils
. Chaque matin, la vie recommence, les énergies sont renouvelées; chaque soir
le paupières se ferment, le sommeil réalise son inexplicable miracle.
24
heures ! Telle est la mesure, telle est la cadence de la vie humaine,
telle est l’unité qui gère tout.
Le problème des
distances, des dimensions, des dispositions, s’insère dans ces limites
précises : 24 heures.
“Ein bestimmtes Mass, nämlich der Lauf der Sonne von
24 Stunden, wird ihre (der Stadt) Ausdehnung und damit ihre Grenzen diktieren.
Eine Skizze, die wir für ein echtes Symbol halten, das zu den
Grundbedingungen des Städtebaus gehört, kann dies ausdrücken: das Bild des
Sonnenlaufs von 24 Stunden, der die Tätigkeit des Menschen Rhythmisch ordnet.
Die Sonne erhebt sich, geht unter, sie steigt von neuem auf; dies ist der
Wechselrhythmus von Tag und Nacht, an den unser Leben unabwendbar gebunden
ist; er ist das tägliche Mass, die Grundlage des menschlichen Lebens”. (Grundfragen, S. 46)
|
Für LC waren, “Raum,
Luft und Sonne” die zentralen Elemente des Städtebaus und der Architektur (2).
LC’s Architektur gründete sich auf die Anwendung von fünf
Elementen:
·
Pilotis, Stützen, die das Gebäude
von der Erde ablösen, so dass die Menschen darunter durchgehen können;
·
Der Dachgarten, der die Natur in
das Gebäude integriert;
·
Der Grundriss, der dank eines Stahlbetonskeletts
frei von einschränkenden Tragmauern ist;
·
Das Fensterband (fenêtre en
longueur), das dem Licht freien Zutritt gewährt;
·
Die freie vom Tragsystem unabhängige
Fassade.
Das für
die Pariser Heilsarmee geplante Gebäude von 1928 (Cité de refuge) besass keinen Sonnenschutz, weil LC das Pariser
Sommerklima nicht berücksichtigt hatte (3). Die nach Süden liegenden Zimmer
überhitzten sich im Sommer zumal die Fenster sich nicht öffnen liessen und eine
Klimaanlage fehlte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Cité de refuge , die in der Nähe des
Bahnhofs Austerlitz liegt, schwer durch Bomben beschädigt. Die vollständig zerstörte
Fassade wurde nach dem Krieg wieder hergestellt und erhielt dabei den fehlenden
Sonnenschutz.
Le Corbusiers Cité
de refuge in Paris (1928) ohne Sonnenschutz
Auch das Gebäude von 1931 an der rue de
Nungesser et Coli, 24, in Paris, war bar jeden schattenspendenden Sonnenschutzes.
Die Fensterbänder blickten auf der einen Seite nach Westen, auf der anderen
nach Osten. Im siebenten Stock befand sich das Atelier Le Corbusiers, das er
„Atelier de la recherche patiente“ (Atelier der geduldigen Forschung) getauft
hatte. Diese geduldige Forschung hat offensichtlich Früchte getragen, denn,
etwas später schrieb LC: „ In diesem Atelier wurden die Sonnenbrecher (brises soleil) erfunden – aus gutem
Grund“.
Während einer Reise nach Südamerika im Jahre 1929 entdeckte LC die Wichtigkeit des Sonnenschutzes in warmen Ländern und begann sich intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen. Das Ergebnis seiner Studien zeigen die städtebaulichen Projekte für Algier (1933) und für Nemours (1935) in Algerien (heute Ghazaouet). In diesen südlichen Breitengraden waren die Sonnenbrecher mehr als notwendig und wurden zu einem charakteristischen Element der Architektur Le Corbusiers.
Das Brasilienhaus im Pariser Universitätscampus. Projekt von Le Corbusier und
Lucio Costa.
|
Auf
Einladung des Ministers Capanema, der vom Lucio Costa auf LC aufmerksam
gemacht worden war, unternahm LC 1936 eine
Reise Rio de Janeiro um an dem Projekt für ein neues Gebäude des nationalen
Bildungsministeriums mitzuarbeiten. LC fand das ausgesuchte Grundstück unpassend
und wählte ein anderes aus. Eines Tages sagte der Minister zu ihm: “Aber die
Orientierung ist nicht sehr zweckmässig“, denn die eine Fassade wies nach
Norden, die andere nach Süden. „Das ist nicht schlimm“, war die Antwort LCs,
„wir verwenden Sonnenbrecher“. Da Ministeriumsgebäude wurde 1945 gebaut und
zwar unter Mitwirkung von Lucio Costa und Oscar Niemeyer.
Die Unités
d’habitation
Für LC war die Wohneinheit (Unité
d’habitation) ein Mittel zur Lösung aller Wohnprobleme. 1937 schlug LC für die
Weltausstellung in Paris den Bau einer solchen Wohneinheit am Boulevard
Kellermann vor. Das Gebäude sollte Wohnungen für 4000 Personen enthalten und mit
einer Fassade versehen sein, die allen Wohnungen „Luft, Wärme und Ruhe“ garantiert.
Der Grundriss des Gebäudes ähnelte einem Ypsilon (LC nannte die Form „patte de pule“,
Hühnerklaue). Nur ein Teil der Wohnungen war nach Süden orientiert, aber jede
Wohnung erhielt ausreichend Sonne. Das Projekt wurde nie ausgeführt, denn es
war bei einigen Mitgliedern des Gemeinderates auf Ablehnung gestossen und diese
waren die mächtiger gewesen als die Befürworter.
Le Corbusier entwickelte verschiedene Varianten seiner
Wohneinheiten. Alle Varianten basierten jedoch auf dem visionären Plan LCs von
1922, der als Ville
Contemporaine bekannt ist. Diese zeitgenössische Stadt wurde nie gebaut, aber
ihre Idee hat einen starken Einfluss auf den europäischen Städtebau und den Bau
von Wohnsiedlungen in den USA ausgeübt, die nach dem Zweiten Weltkrieg
entstanden.
Die Unité d’Habitation am
Boulevard Michelet in Marseille (1947)
Erst nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zwischen 1947 und 1952, konnte LC eine
Wohneinheit in Marseille (Boulevard Michelet 280) realisieren. Das Gebäude ist
140 Meter lang, 24 Meter breit und 56 Meter hoch. Die Gebäudeachse verläuft in
Nord-Südrichtung. Auf diese Weise erhält jede Wohnung zweimal am Tag Sonne, am
Vormittag und am Nachmittag. Ausserdem kann jede Wohnung quergelüftet werden.
Die Wohnungen erreicht man über ein innenliegende Strasse. Ein Geschoss enthält
alle notwendigen öffentlichen und sozialen Grundeinrichtungen (Kindergarten,
Gesundheitsdienst, Freizeiträume).
Zwischen 1953-55 entsteht eine weitere Unité
d’habitation in Nantes. Auch in diesem Fall erhalten die Wohnungen Licht und
Sonne von Osten und von Westen.
Zwischen 1955 und 1960 entwirft LC ein
Wohnquartier mit fünf solchen Wohneinheiten in Meaux. Auch hier verläuft die
Längsachse der Gebäude in Nord-Südrichtung.
1960 findet
in Berlin die Interbau statt, eine
internationale Bauausstellung. Le Corbusier ist eingeladen, sich mit einer
Wohneinheit an der Ausstellung zu beteiligen. Die Wohneinheit an der Flatowallee
16 hätte eine genaue Kopie der Unité d’habitation von Marseille werden sollen.
Leider scheiterte das Vorhaben an der Sturheit der Berliner Bauverwaltung. Die
von LC bevorzugte Raumhöhe von 2,26 Meter (ein Modulormass, das einem
aufrechtstehenden Menschen mit erhobenem Arm entspricht) entsprach nicht den
deutschen Normen, die eine Mindestraumhöhe von 2,50 Metern fordern. Ohne die
Zustimmung LCs verordnete die Bauverwaltung den Wohnungen die deutsche
Normhöhe, was die die gesamten Proportionen des Gebäudes aus dem Gleichgewicht
brachte. Aus diesem Grund hat LC nie die Urheberschaft des Gebäudes anerkannt. Gleichwohl brüsten sich heute die
Berliner mit einem Bau von Le Corbusier. In der Berliner Wohneinheit fehlen
zudem viele Gemeinschaftseinrichtungen, die in Marseille vorhanden sind,
ausserdem sind die inneren Strassen zu Korridoren ohne natürliche Belichtung
verkümmert. Die 530, auf 17 Ebenen verteilte Wohnungen sind jedoch grösser als
die in anderen Wohneinheiten
Chandigarh
1951 beauftragte der indische Premierminister Jawaharlal
Nehru Le Corbusier und seinen Vetter
Pierre Jeanneret mit der Projektierung der neuen Hauptstadt des Bundesstaates Punjab.
Die Stadt sollte in der Mitte einer weiten Ebene am Fuss des Himalaya entstehen.
LC machte sich
sofort daran, die klimatischen Gegebenheiten des indischen Subkontinentes zu
studieren.
+
Während seine
Mitarbeiter die Wohnviertel für 500.000 Einwohner projektieren, konkretisiert
LC seine städtebaulichen Ideen und entwirft persönlich das Regierungsviertel
mit dem Kapitol, den Ministerien (1958), dem Obersten Gerichtshof (1956) und
dem Gouverneurspalast.
Bei Beginn der
Arbeiten für die neue Hauptstadt des Punjab heftet LC eine Zeichnung an die
Wand des Pariser Ateliers in der Rue de Sèvres 35, auf der ein Klimadiagramm zu sehen ist,
an welchem sich alle Mitarbeiter über die Winde, die Besonnung, den
Schattenwurf und die Temperaturen der Gegend orientieren können.
Zeichnung mit den klimatischen Gegebenheiten in Chandigarh. Die
Zeichnung hing in Le Corbusiers Atelier in der Rue de Sèvres 3 in Paris, damit sich alle Mitarbeiter
über die Winde, die Temperaturen und den Schattenwurf informieren konnten.
Die Gebäude
des Obersten Gerichtshofes, des Parlaments und des Sekretariats (Ministerien),
wie auch das gesamte Raster auf dem die Stadt aufbaut, wurden im Hinblick auf
das lokale Klima entworfen und so orientiert, dass die quer zu den
vorherrschenden Winden stehen, die im Winter von Nordwesten und im Sommer von
Südosten wehen. Die Büros auf der
Sonnenseite werden von den inzwischen berühmten “brise soleils” beschattet (Modulor 2, S. 190).
Das Gebäude der
Ministerien ist 280 Meter lang und 35 Meter hoch.
Im Fall des Parlamentsgebäudes hat LC über
dem Parlamentssaal einen hyperbolischer Turm vorgesehen, der der natürliche
Lüftung dient und der in seiner Form den
Kühltürmen eines Kraftwerkes ähnelt. Auch der Turm über dem Eingang und die
Pyramide auf dem Dach des Oberhauses scheinen Symbole eines antiken
Sonnenkultes zu sein. LC sagte dazu: „dass dieser Hut ein wahres
Physiklaboratorium werden wird, das für das Spiel von Licht und Schatten sorgen
soll…. Dieser Pfropfen könnte bei Sonnenfeiern genutzt werden, die den Menschen
einmal im Jahr daran erinnern, dass er ein Kind der Sonne ist“ (4). Die gesamte
Dachlandschaft erinnert an das von Maharaja Jai Singh II von Jaipur erbaute
astronomische Observatorium von Jantar
Mantar (um 1724), das LC in New Delhi besucht hatte.
Der Turm der Schatten (1960)
Der Impuls
zum Bau dieses Monuments geht auf LCs der Diagramm des “Die 24 Sonnenstunden”
zurück. Es handelt sich um eine interessante Studie des Sonnenlaufs in welcher
LC verschiedene Arten von Schattenspendern ausprobiert und damit zeigt , dass
„man die Besonnung auf allen vier Seiten eines Gebäudes kontrollieren und mit
den Sonnenschutzelementen so spielen kann, dass sich auch in heissen Ländern niedrigere
Temperaturen erzielen lassen“ (LC: Werke).
Anmerkungen
(1) Le Corbusier: Les plans de Paris 1956-1922, Les Editions
de minuit, (1956), S. 48.
(2) Le Corbusier: Propos
d’Urbanisme, Edition Bourrelier, Paris (1946)
(3) Zitiert nach:
Behling, Sol Power, München 1996
(4) Jean Louis Cohen, Le
Corbusier, Köln (Taschen) 2006, S.79
(5) Le
Corbusier, Mein Werk, Stuttgart 1960,
S. 175
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